Aus solchem Stoff, wie dem zu Träumen
Wie, wenn wir wären, was Shakespeare von uns sagt: „ ...aus solchem Stoff gemacht, wie dem zu Träumen?“
Wessen Träume sind wir dann, wer träumt uns, und was träumen wir, die wir geträumt sind? Wo ziehen unsere Träume hin mit uns, und wo sind wir zu Haus? Gibt es so etwas wie eine „Traum-Heimat“? Im Sinne Goethes, der sagt: „Heimat ist nicht so sehr, woher wir kommen, Heimat ist, wohin wir gehen.“?
Warum also, warum suchen wir immer wieder die selben Plätze auf, was zwingt uns hierhin oder dorthin, uns und unsere Träume?
Da ist ein See, und noch ein See, und noch ein kleiner See, die liegen lang und schmal, von steilen Waldbergen eingefasst, gegen ein kahles Gebirge hin, das sie, wie alle Gegend dort, die Siedlungen, die Bauernwiesen, Auen, Almen, beschließt. Berg-Enklave. Hier endet eine Welt. Und fängt erst an, dazwischen.
Denn dumpfe Trommeln und Pfeifen liegen noch immer überm See, und auf dem Spiegel gleiten Plätten, die den Alpenkönig Johann samt Kumpanen zum Ladnergasthof bringen, wo die Ausseer Anna seit vierzehn Jahren auf ihn wartet wie Solveig auf Peer Gynt, und auf die Wiesen hinter Gössl sind Tanzböden gestreut als wären sie nächtens vom Himmel gefallen, und Konrad Mautner holt die Zwiefachen und die Waldhansl und die Almschreie und die Ludler auf sein Löschpapier und tupft die Leut’, wie sie hier sind, um Notenköpf’ herum und rettet sie vor dem Vergessen, und Josef Kainz lernt seinen Tasso auf dem Weg zum Toplitzsee, und Makart wirbt im Kreuzer Blockhaus vergeblich um Dora Gabillon, während Reinhardt und Hofmannsthal dem reichen Gastiglioni Aufwartung machen; sie wollen ihn vor dem Verschwenderschicksal Flottwells retten und bieten ihm fürs viel zu schnell gemachte Geld die Mäzenaten-Unsterblichkeit bei Salzburgs Festspielen.
Dies alles ist auch da, ist, was wir Atmosphäre nennen, ist zwischen allem, und muss nicht einmal ins Bewusstsein derer, die von der Ranftlmühle entlang des Stimitzbaches über die Gössler Feenwiesen gehen, die staunend rasten auf dem Altanboden der Zimitzalm, bevor sie an deren Wasserschluchten niedersteigen.
Und dann die hohe Zeit im Jahreslauf, in der das Land aus einem Nebelmeer ringsum in jene reine Verdichtung taucht, in der der letzte Sonnenkuss nicht endet, bis jede Lärchenflamme, jedes erglühte Blatt im blausten Blau ertrinkt!
Und wer an Spätherbstabenden ein wenig fröstelnd in der Fischerhütte im immer dunklen Ressen am Feuer einer Lechpartie die letzten Fische vor der Schonzeit isst und jene Trommeln hört und Seitenpfeifen, der muss nicht wissen, dass er ein spätes Echo hört vom dreißigjährigen Krieg, das Grundlseer Söldnerburschen heimgebracht und weiterklingen haben lassen.
Und wer dann hinaustritt in die kalte Nacht, der weiß die Sterne näher als irgendwo, und die Gelenke der Himmelsachsen funkeln ihm ein Netz ins Unvorstellbare, aus solchem Stoff gemacht wie dem zu Träumen.
Wie also sollten unsere Träume nicht am Stoff der Träume festmachen, ankern?
Vielleicht dass jene, die dort einmal waren, ihre Anker, in Wahrheit, nie mehr lichten und nur Leine geben, manchmal lange lange Leine, bis sie, von einem Traum getrieben, ihr Tau einholen, einmal und dann immer wieder, um zu bleiben, wie jener Klarinettenjuchzer aus dem Landler von Gustav Mahlers vierter Symphonie, der überm Land bleibt, für immer, oder – so lange wir aus solchem Stoff wie dem zu Träumen sind.
Franz Winter